Ramie, lateinisch Boehmeria nivea, gehört zur Familie der Nesselgewächse (Urticaceae). Die Bastfasern verlaufen entlang des Pflanzenstängels und verstärken ihn. Ramie wird seit rund 3.000 Jahren in China angebaut, daher ist Ramie auch als „Chinagras“ bekannt. Ramiegewebe gelangte im 18. Jahrhundert als „chinesisches Leinen“ von Asien nach Europa. Die Pflanze wurde ab dem 19. Jahrhundert in Westeuropa und den südlichen USA kultiviert.
Die Eigenschaften ähneln denen von Leinen. Kleidungsstücke aus Ramie fühlen sich vergleichbar fest an, werden jedoch mit jeder Wäsche anschmiegsamer und knittern weniger. Sie kühlen bei sommerlichen Temperaturen, da die Faser viel Feuchtigkeit aufnehmen kann. Kleider, Blusen und Hemden werden deshalb gerne aus Ramie hergestellt.
Neben den angenehmen Trageeigenschaften zeichnet sich Ramie durch ihr Aussehen aus: Sie hat einen seidenähnlichen Glanz, der den von Leinen übertrifft. Die Faser ist rein weiß und muss nicht gebleicht werden. Weitere Pluspunkte: Sie ist sehr strapazierfähig, reißfest und haltbar.
Ramie wird wegen ihrer hochwertigen Faserqualität geschätzt: So werden in Japan aus der Faser seit jeher Kimonos gefertigt. Allerdings wird Ramie in konventioneller Mode eher wenig verwendet im Vergleich zu anderen Bastfasern wie Leinen oder Hanf. Sie lässt sich zu 100 % in Textilien verspinnen, wird aber meist gemeinsam mit den verschiedensten Natur- und Kunstfasern gemischt, etwa Baumwolle, Wolle, Seide, Polyester und Viskose. Um sie als Verstärkungsfaser wirksam einsetzen zu können, muss ihr Anteil mindestens 25 bis 30 % betragen.
Zudem werden Ramiefasern in der Seilerei und Papierproduktion verwendet. Insbesondere kurzfaserige Reste sind geeignet, um daraus Spezialpapier wie etwa Banknoten oder Zigarettenpapier herzustellen.
Der Durchbruch von Ramie auf dem Markt blieb aus. Die tropische Pflanze verträgt das europäische Klima relativ schlecht und ist nicht winterhart. Sie wird daher heute überwiegend in Asien und in Südamerika angebaut. Sind in den Tropen fünf bis acht Ernten jährlich möglich, so sind es in den Subtropen eher drei bis vier Ernten
Hinzu kommen ortsunabhängige Herausforderungen: Der Faserertrag sinkt mit der Anzahl der Ernten, und der Aufschluss der Ramiefaser ist aufwändig. Daher kann sie auf dem Textilmarkt bisher mengenmäßig und preislich nicht mit anderen Naturfasern wie Baumwolle, Hanf oder Leinen konkurrieren. (Mehr zu Naturfasern & Chemiefasern – Unterschiede und Gebrauch in der Mode)
Die mehrjährige Pflanze lässt sich ökologisch unbedenklich anbauen: Da sie gegen Krankheiten und Schädlinge resistent ist und relativ anspruchslos ist, benötigt sie keine Pestizide, Insektizide oder künstliche Bewässerung.
Die Faserbündel, aus denen die Garne hergestellt werden, liegen in der Rindenschicht des Stängels. Das haben Ramiefasern mit den übrigen Bastfasern wie Flachs oder Hanf gemeinsam. Aber im Unterschied zu diesen ist der Aufschluss der Faser besonders aufwändig und benötigt viel Handarbeit. Dies gelingt mittels eines mechanischen Aufschlussverfahrens, was meist direkt auf dem Feld erfolgt.
Sind die frischen Faserbündel gewonnen, können die restlichen Pflanzenbestandteile – Blätter, Rinde und Holz – wieder auf den abgeernteten Feldern verstreut werden. Auf diese Weise bekommt der Boden fast alle der von den Pflanzen aufgenommenen mineralischen Nährstoffe zurück, die gleichzeitig als Dünger dienen. Zudem schützt die Pflanzenschicht als Mulch den Boden, etwa vor Erosion durch starke tropische Regengüsse.
Um die Ramiefasern verspinnen zu können, müssen sie weiter aufgearbeitet werden. Denn die Faserbündel enthalten Pektine, die als Kittsubstanzen zwischen den Einzelfasern wirken. Der Aufschluss der Einzelfasern erfolgt häufig durch eine chemische Degummierung unter Verwendung heißer Natronlauge und Natriumcarbonat. Dabei werden die Pektine und die Hemizellulose entfernt und die Einzelfasern freigelegt.
Danach müssen die Fasern gründlich ausgespült, gewaschen und weiter verfeinert werden. Ramiefasern sind länger als beispielsweise Flachsfasern und lassen sich nach der Aufarbeitung zu sehr feinen Garnen verspinnen.
Die chemische Aufarbeitung der Rohfasern ist nicht nur teuer, sondern auch umweltbelastend, da schädliche Chemikalien im Spiel sind.
Biologisch erzeugte Ramiefasern können nach dem Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifiziert werden. Die Richtlinien des Standards sehen unter anderem auch vor, dass die Pflanze nach ökologischen Gesichtspunkten kultiviert wird, also ausschließlich mit organischem Dünger sowie ohne Herbizide und Insektizide.
Hier einige Tipps, wie du Kleidungsstücke aus Ramie am besten behandelst:
Quellen zum Thema:
https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/142849
https://www.fibre2fashion.com/industry-article/4787/study-of-ramie-fibre-a-review
https://www.brennnessel-textil.de/2015/09/ramie/
https://www.andrea-rechtsteiner.de/vortraege-beitraege/ramiefaser-auch-fuer-bekleidung
https://materialarchiv.ch/de/ma:material_593/?maapi:f_all_groups=ma:group_717